Vortrag
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Eklektizistische Ansätze in der Supervision
Begriffsdefinition:
Eklektizismus (von griech. eklektós “ausgewählt”) ist die Bezeichnung für Kunstrichtungen, die anstelle eigener Kreativität aus vergangenen Stilepochen “das Schönste” aussuchen und in ihre Werke einfügen. Die übernommenen Stilelemente werden dabei aus ihrem ästhetischen, sozialen und funktionalen Kontext gelöst und auf den bloßen Dekorationswert reduziert. Eine Blütezeit des Eklektizismus war das 19. Jahrhundert (s. auch Historismus). Das vielleicht berühmteste Beispiel ist Schloss Neuschwanstein.
Die Verwendung des Begriffs Eklektizismus erfolgt heute nicht selten in abwertender Weise, im Sinne von unschöpferischer, einfallsloser Zusammenstellung.
In der Philosophie wird der Begriff benutzt, um Gedankensysteme zu bezeichnen, die Elemente sehr unterschiedlicher philosophischer Richtungen in sich aufnehmen.
Auch in anderen Gebieten, z.B. der Psychologie oder Pädagogik gibt es entsprechende Vermischungen von Ansätzen aus unterschiedlichen Bereichen, die als Eklektizismus bezeichnet werden und häufig umstritten sind.
Philosophischer Eklektizismus liegt dann vor, wenn ohne Versuch zu schöpferischer Synthese und ohne Ausschluss logischer Widersprüche Theorien und Anschauungen, vor allem einzelne Elemente und Thesen verschiedener philosophischer Systeme oder Richtungen, zu einem “neuen” System vereinigt werden. In diesem Sinne gelten als Eklektiker zahlreiche Denker der griechisch-römischen Philosophie seit dem 1. Jahrhundert vor der Zeitrechnung, die sogenannten Kirchenväter und Kirchenschriftsteller (Patristik), verschiedene Vertreter der Scholastik, einige Vertreter der deutschen Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts (Johann Feder, Christian Garve), im 19. Jahrhundert der französische Denker Victor Cousin.
Geht es um die Mischung von Religionen oder Kulten, dann wird statt “Eklektizismus” meist der Begriff Synkretismus benutzt.
Eklektizismus in der Supervision:
Nach freiem Ermessen werden verschiedene Theorien und Methoden durch einen Supervisor im Sinne eines Methodenpluralismus während einer Supervisionssitzung eingesetzt. Eine derartige Vorgehensweise ist nicht auf die Theorie oder Erkenntnis einer einzigen Supervisionsschule begrenzt, sondern versucht vielmehr, die in der jeweiligen Situation und gegenüber den konkreten Klienten die am erfolgversprechendste Methode einzusetzen.
Es ist bemerkenswert, dass die berufliche Sozialarbeit als erste die Beobachtung des Beobachters in Form der Supervision professionell institutionalisiert hat. Supervision kann sich - nach etlichen Oszillationen ihrer Perspektivität (vgl. Belardi 1992) - gerade nicht mehr als Beratung oder als Import von fremdem Expertenwissen in den eigenen professionellen Kontext verstehen, sondern nur noch als Anleitung zur Selbstbeobachtung, -analyse und -beratung, sozusagen als Animation, den “blinden Fleck” aufzuhellen, ohne ihn letztlich aufheben zu können.
Man sucht, indem man sich die unterschiedlichsten Beobachtungsbrillen auf die Nase setzt (Schreyögg 1994), gemeinschaftlich nach Lösungen für Probleme, die jemand als Mensch (Beobachter) mit den eigenen und fremden Sichtweisen im Arbeitskontext hat. Man weiß, dass die Lösungen, die man findet, die Probleme der nächsten (Beobachtungs-) Runde sein werden. Man weiß auch, dass das, was jemand aus dem herauszieht, was in der Supervisionssitzung zu seinen Problemen gesagt wird, ausschließlich zu seiner Verfügung steht und nicht als vorbildlich für. andere Supervisanden oder als mustergültig für andere Situationen zu behandeln ist.
Supervision ist, und das hat sie mit der kybernetischen Beobachtungstheorie gemein, nicht lösungs-, sondern problemorientiert, sie gibt keine abschließenden Antworten, sondern Iehrt den Umgang mit immer wieder nachschießenden Fragen und Problemen.
Sie verdient das Präfix 'Super' denn auch heute nicht mehr, well sie beansprucht, überlegene, bessere, verbindlichere Sichten zu erzeugen, sondern ganz im Gegenteil: well sie nach der Durchtestung klinischer, psychoanalytischer, gesprächstherapeutischer, personen- und institutionszentrierter, gruppendynamischer, kommunikationstheoretischer und schließlich system- und kulturanalytischer Perspektiven “am eigenen Leib” die Beobachterabhängigkeit und Relativität von Beschreibungen (Diagnosen, Anamnesen und Therapiekonzepten) begriffen hat, um fortan einen “systematisch unsystematischen” sprich: “respektlosen” und “offensiv eklektizistischen” Umgang mit Beschreibungen zu üben.
Hauptsache ist, es begünstigt die Arbeitssituation der Supervisanden. Man will nicht mehr wissen, wie es “wirklich” ist, welche Beschreibungen “stimmen”, sondern mit welchen Beschreibungen ein Beobachter im Dickicht arbeitsweltlicher Zusammenhänge effektiver operieren kann
(Bardmann 1996: 18f.).
In der Supervision verwenden wir darum unterschiedliche Strategien, die wir unter dem Gesichtspunkt auswählen, ob sie in der Lage sind, eingefahrene Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsabläufe so zu unterbrechen, dass die Komplexität menschlicher Erfahrungsmöglichkeiten wieder sichtbar wird und andere, vielleicht brauchbarere Wirklichkeiten konstruiert werden können.
Der Weg geht also vom Reduzierten zum Komplexen und dann wieder zu einer neuen, hoffentlich brauchbareren Reduktion. Interventionen aus Beratungskonzepten werden von uns danach ausgewählt, ob sie in der Lage sind, brauchbar zu irritieren. Intervenieren (in der ursprünglichen Wortbedeutung: Dazwischenkommen) bei Menschen ist eigentlich etwas Unmögliches, allenfalls gelingt es, Menschen anzuregen oder scharfer: zu stören und zu irritieren.
Der/die SupervisandIn (manche dehnen es auch aus auf Gruppen und sprechen dann von sozialen Systemen) muss dann mit seinen Mitteln diese Störung ausgleichen: Er/sie/es (das System) schottet sich ab oder er/sie/es lernt, auf jeden Fall verändert er/sie/es etwas.
Das scheint auf den ersten Blick hin sehr kompliziert und wissenschaftlich elaboriert zu klingen, ist aber alte Sozialarbeitslehre, nämlich: “Da anfangen, wo der Klient steht.” Oder: “Das Selbstbestimmungsrecht des Klienten achten.” Oder, wie es einer der Mitbegründer des Instituts für Beratung und Supervision, Professor Dr. Dr. h.c. Louis Lowy aus Boston oft gesagt hat: ”Mit den Ressourcen des Klienten arbeiten.”
Neu ist in der deutschen Supervisionsszene allerdings, dass dieses Supervisionskonzept nicht wie die meisten Supervisionskonzepte bisher im Anschluss an ein Beratungskonzept, z. B. einer therapeutischen Schule konzipiert wurde, sondern dass eine Kognitionstheorie, eine Theorie der Beobachtung zum Ausgangspunkt genommen wird und die Methoden, die die Beratungskonzepte zur Verfügung stellen, daraufhin abgeklopft werden, ob sie in der Lage sind, brauchbar zu stören. Wobei über die endgültige Brauchbarkeit ohnehin einzig und allein nur der/die SupervisandIn selbst für sich entscheidet (Selbstbestimmungsrecht des Klienten, oder systemisch ausgedrückt: Ernstnehmen der Selbstorganisation!).
Doch auch dieses Auswählen ist alter Brauch in der sozialen Arbeit, warum man ihr häufig den Vorwurf des Eklektizismus gemacht hat. Dieser Eklektizismus erweist sich allerdings jetzt nach dem Zusammenbruch aller nur denkbaren großen Entwürfe als die wirklich pragmatisch, moderne Möglichkeit überhaupt. Aber auch diese Haltung scheint viel älter als die soziale Arbeit zu sein, empfiehlt doch schon die Heilige Schrift: “Prüfet alles und was brauchbar ist, das behaltet!” (1. Thess. 5.21).
Bei Prüfungen hat sich ergeben, dass viele Methoden, die in der Systemischen Therapie (vgl. Kersting/Neumann-Wirsig 1992), in der Provokativen Therapie (vgl. Farrelly 1986) und neuerdings auch im Neurolinguistischen Programmieren (vgl. Krapohl 1992) angeboten werden, sehr brauchbar sind. Auch ältere Konzepte wie z. B. Gestalt (vgl. Richter 1997), die Psychoanalyse (mit ihren Konstrukten von “Übertragung und Gegenübertragung”, vgl. Wittenberger 1988), und Balintarbeit (z. B. die Methode des “freien Assoziierens", vgl. Kersting 1995) bieten viel Nützliches für Diagnose und Intervention in Supervisionsprozessen.
Dieses konstruktivistische Konzept besitzt außerdem eine hochbrisante ethische Implikation: Sichtweisen und Beobachtungen werden nicht vorgeschrieben. Die Lösungen findet der/die SupervisandIn selbst für sich. Das bedeutet einen hohen Respekt vor der Autonomie und den Ressourcen des/der Supervisanden/in.
Diese Ethik ist impliziert im Handeln (vgl. von Foerster 1993: 347ff., Kersting 1996: 106f., 1998). Der/die SupervisorIn wird nicht zum Moralapostel. Die Verfügungsgewalt bleibt in Händen der SupervisandInnen. Er/sie ist “Herrin des Verfahrens”. Gleichzeitig beinhaltet diese ethische Implikation einen herausfordernden Anspruch. Der/die SupervisandIn ist für seine/ihre Sichtweisen und sein/ihr Handeln selbst verantwortlich.
Alt? Neu? - Wahrscheinlich beides.
Fazit:
Eklektizismus in der Supervision wird von manchen Therapeuten und auch SupervisorInnen mit festem erlernten und erlebtem therapeutischen Hintergrund als Verquickung verschiedener Methoden ohne direkt erlebtem wissenschaftlich zusammenhängendem Hintergrund gehalten. Ein Vorwurf über eine eklektische Arbeitsweise wird aber hinfällig angesichts der Komplexität der Wirklichkeit.
Gleichzeitig ist es natürlich unabdingbar, dass SupervisorInnen - nicht zuletzt durch ständige Weiterbildung - tatsachlich auch interdisziplinär zu arbeiten imstande sind. Halbwissen kann nicht zu effizienter und befriedigender Arbeit führen - weder vor sich selbst noch vor anderen.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist aber nicht die vordergründig wissenschaftliche Arbeitsweise, sondern ein Eingehen auf den Menschen und dessen Anliegen.
Hier sind die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten der SupervisorInnen und das erzielte Ergebnis für den Klienten maßgebend.
Verstehen Sie eklektische Ansätze als wertvolle Hilfe für Ihre Arbeit!
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